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Dorfschmiede

Auf dem Hof der Schmiede wuchert das Gras. Ich sehe das seit langem geschlossene Tor zur Straße und denke, damals war es immer weit geöffnet, von morgens bis abends. Nur ein einziges Mal, erinnere ich mich, blieb das Tor zu. Da war der Schmied krank für Wochen.
Horn-Fritze, der Dorfschmied, war nicht groß aber breit wie ein Bär, mit schwarzem Haar, buschigen Augenbrauen und einer Brille, der er stets über den Rand schielte. Die Brille war besät von schwarzen Pünktchen, denn Horn-Fritze pflegte beim Schweißen selten die Schutzbrille zu benutzen. Zu seinem Gesicht gehörte weiterhin eine zerkaute Zigarre.
Auch die Schmiede war gekennzeichnet von seinen Zwanziger-Stumpen. Sie lagen stummelweise an der Drehbank und auf den Kanten der Werkbänke, an der Richtplatte oder der Säge, am Kurzhobel oder am Schreibtisch. Im Schmiedefeuer aber steckten immer einige Rundeisen mit denen er sich den nächstliegenden Stummel entzündete.

Horn-Fritze war Freund meines Vaters und nahm mich schmalen Pennäler für ein paar Wochen in Arbeit, vor Armeezeit und Studium. Ich weiß noch genau, den ganzen ersten Tag ließ er mich nichts machen, einfach nichts. So blieb ich ihm auf den Fersen und guckte, weil ich nichts Besseres zu tun wusste. Am zweiten Tag aber ließ er mich am laufenden Kurzhobel stehen und kam nicht wieder. Ich konnte zusehen, wie der Stahl langsam zur Kante fuhr. Was sollte ich tun? Exakt nach dem letzten Hieb stellte ich die Maschine ab und spannte die Rohlinge um. Beim Anstellen trödelte ich absichtlich. War das zu viel der Eigenmächtigkeit? Ich hatte schon die Hand am Schalter, als der Meister kam. Mit einem flinken Blick überprüfte er die Ausrichtung der Werkstücke und warf die Maschine an. Sein Seitenblick über den Brillenrand verriet Anerkennung und auch, dass er meinen Gewissenskonflikt absichtlich provoziert hatte.
Horn-Fritze zeigte mir das Schweißen mit allen Kniffen. Das Wichtigste, sagte er, die Schlacke darf dir nicht vornweg laufen.
Zu Horn-Fritze konnte jeder kommen. Der Hausmeister der Schule brachte Zaunpfähle und zerbeulte Fahrradständer. Da waren Rabauken dagegen gefahren. Die LPG schickte Pflugschare und verbogene Eggen. Mein Vater gab mir die stumpfen Meißel mit. Und alle Jubeljahre war auch ein Pferd zu beschlagen.
Ein Junge kam mit seiner gebrochenen Fahrradgabel und Horn-Fritze, der gerade die demolierten Fahrradständer gerichtet hatte, brummte: Du warst das also, der die Ständer zerfahren hat! Der Junge stotterte vor Angst. Da, geh zu meinem Kollegen, der schweißt dir das!
Der Kollege war ich. Tapfer hielt der Junge sein Rad, als die Funken spritzten. Dann hatte ich eine kleine, saubere Schweißnaht gezaubert und klopfte die Schlacke ab. Was kostet das? fragte der Junge schüchtern. Ich schickte ihn zum Meister. Der besah sich den Burschen über seinen Brillenrand hinweg und antwortete ohne mit der Wimper zu zucken: Zwei Mark fünfundsechzig. Bezahlt wird bei meinem Kollegen. Und Fahrradhasche spielst du mir nicht mehr, klar?
Horn-Fritze ließ mich das Gartentor bauen für den BHG-Leiter. Wenn ich heute daran vorbeigehe und das eiserne, dreiflüglige Tor sehe, möchte ich am liebsten mit den Fingerspitzen über jede einzelne Schweißnaht fahren, meine Arbeit. Ich weiß noch, die Türklinken sollten wie Eichenblätter aussehen. Das hatte er sich so vorgestellt, unser Schmied. Als ich ihn ziemlich unschlüssig ansah, schickte er mich einfach über die Straße zu den beiden Eichen, ein Blatt holen. Fertig war die Schablone.
Beim Frühstück nahm mich Horn-Fritze stets mit in die Küche. Dort stand ein großer Teller Stullen bereit, ein Glas selbstgemachter Wurst und die Kanne voll Kaffee. Seine Tochter, etwas jünger als ich, schenkte ein und ich schaute immer wie gebannt auf die Mädchenhände. Manchmal blickte ich sogar in ihr braungebranntes, sommersprossenübersätes Gesicht. Aber wenn ich wirklich einmal ein Wort zu ihr sagte, schielte Horn-Fritze über seinen Brillenrand und ich senkte wie ein ertappter Sünder den Kopf.
Einmal fragte ich ihn, ob er zufrieden sei mit diesem Leben in der kleinen, rußigen Schmiede und immer allein bei der Arbeit. Da schaute er mich wieder an über seinen Brillenrand und der Stumpen dampfte mächtig. Junge, brummte er schließlich, ich werde hier gebraucht. Das ist wichtig.
Als noch im selben Jahr, ich hatte gerade in Stiefeln nochmals laufen gelernt, Horn-Fritze plötzlich verstarb, wurde das Tor der Schmiede verschlossen. Sein Sohn tat das. Der hatte eine Arbeit in der Stadt, sich qualifiziert und war mittlerweile Ingenieur geworden.
Das Tor blieb zu. Horn-Fritze fand keinen Nachfolger. Zwar hatten im Laufe der Jahre viele gleich mir bei ihm gearbeitet, auch zwei oder drei Lehrlinge bildete er aus. Aber wer wurde schon Dorfschmied? So kaufte die LPG das restliche Material und ein paar Maschinen. Irgendwer kehrte vielleicht auch die Zigarrenstummel zusammen.
Und jetzt legt die sommersprossige Tochter des Schmiedes allabendlich die Sachen zurecht fürs Kind und füllt die Brottasche. Aber die Leute erzählen noch immer: Früher war das mal die Dorfschmiede. Zu Horn-Fritze konnte jeder kommen, mit einem stumpfen Meißel oder einem gebrochenen Fahrradrahmen. Der baute Hoftüren und schmiedete Beschläge, der reparierte Pflüge und Fahrradständer. Und die Leute zeigen zur Schmiede, wo auf dem Hofe das Gras wuchert.

(Heino Hertel - 1986)

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